Vom Mont Tombe …
… zum Mont Saint-Michel
Es war wohl das umfangreichste, schwierigste und kostspieligste Projekt des Mittelalters. Heute gehört die Insel mit all ihren Gebäuden und natürlich der Abtei zum UNESCO-Weltkulturerbe. Der Mont Saint Michel liegt haarscharf an der Grenze zwischen der Normandie und der Bretagne und gehörte im Laufe seiner Geschichte mal zur einen, dann wieder zur anderen Region. Heute gehört er offiziell zur Normandie.
Heute leben in dem kleinen Dorf gerade mal 44 Einwohner. Die jährliche Besucherzahl hingegen beläuft sich auf mehr als 3,5 Millionen, aber höchstens ein Drittel schaffen es bis zur Abteikirche. Die meisten flanieren nur durch die mit Souvenirläden übersäten engen Gassen oder bis zu einem Café oder Restaurant.
Ein Aufstieg zur Abtei gleicht einer Reise durch die mittelalterliche Architektur: von karolingisch über romanisch bis hin zu gotisch – alle Stilrichtungen sind in den Bau eingeflossen. Schließlich hat die Fertigstellung auch mehrere Jahrhunderte in Anspruch genommen.
Seit über 1.000 Jahren strömen Pilger in die Klosteranlage, die Grand Rue hinauf bis zur Abtei, welche die Reliquien des Erzengels Michael beherbergt. In früheren Zeiten wurden die Pilger von den Mönchen bewirtet. Auch heute noch hält sich die Pilgerzahl in einem überschaubaren Rahmen, aber die Scharen von Touristen werden von Jahr zu Jahr mehr.
Aber wie hat alles angefangen und wie kam es letztendlich zum Bau dieser einzigartigen Anlage mitten im Meer und das auf einer kleinen Felseninsel, deren Umfang weniger als einen Kilometer beträgt und deren Höhe, die aus dem Wasser ragt gerade mal bei 80 m liegt.

Das Wunder des Abendlandes bei Nacht
Dazu müssen wir ein wenig ins Land der Legenden und Mythen abdriften, denn Belege dafür findet man nicht wirklich.
Der Wald von Scissy
In längst vergangenen Zeiten hat das Meer die Bucht eingenommen, ließ aber drei Hügel aus Granit aus dem Wasser herausragen, den Mont Dol, Tombelaine und den Mont Tombe. Als sich das Meer erneut zurückzog, ist in der Bucht von Avranches ein großes Waldgebiet entstanden, der Fôret de Scissy (Wald von Scissy). Aber was das Meer einst freigegeben hat, sollte nicht immer so bleiben. Der Legende zufolge wurde das Waldgebiet viele Jahrhunderte von einem Küstenstreifen geschützt, der bei einer Springflut einstürzte und so dem Wasser wieder freien Lauf ließ. Mont Tombe wurde wieder von den Fluten eingeschlossen und zur Insel.
Die Einsiedler Mönche von der Felseninsel

Heute wird der Mont Saint Michel bei Springflut wieder zur Insel (der Ausblick bei Ebbe)
Zur Zeit der Gallier sollen Druiden Frauen den Berg besiedelt haben. Während der römischen Besatzung wurde hier ein heidnischer Tempel errichtet, aber seit dem 6. Jahrhundert verzeichnete man Einsiedler auf dem Berg, die zwei kleine Kapellen erbaut und den beiden Heiligen Etienne und Symphorian gewidmet haben.
Die Mönche lebten in völliger Abgeschiedenheit und tiefer Frömmigkeit. Kein Fremder kam hierher, nicht einmal der Pfarrer des benachbarten Dorfes Astre, der sie aber auf höchst eigenartige Weise mit Nahrung versorgte.
Ein dressierter Esel brachte den Eremiten Nahrung. Eines Tages aber tauchte ein hungriger Wolf auf und fraß den Esel. Die Bewohner der kleinen Insel wunderten sich, dass der Esel ausblieb und als der Hunger so groß war und sie ratlos waren, flehten sie Gott um Hilfe. Dieser erhörte die Bitten der frommen Mönche und schickte einen Wolf. Reuevoll und demütig erschien er auf der Insel, so dass die Mönche keinen Zweifel hegten, dass es der Wolf sein musste, der den Esel auf dem Gewissen hatte und nun von Gott gesandt vor ihnen steht, sich dafür zu entschuldigen. Sie befahlen dem Wolf ihnen zu Diensten zu sein, haben ihm einen Sack umgebunden und ihn zum Pfarrer von Astre geschickt.
Der war nicht wenig erschrocken als der Wolf plötzlich vor ihm stand. Als er aber den auf seinem Rücken gebundenen Sack erblickte, wurde ihm sofort klar, dass dieser von Gott gesandt sein musste, um den Esel zu ersetzen. Er belud ihn und schickte ihn zurück zur Insel. Trotz seiner Wolfsnatur war er fortan gehorsam wie ein Hund, versorgte die Mönche regelmäßig mit Nahrung und hat nie wieder jemandem was zuleide getan.
Der Heilige Aubert von Avranches
In der Umgebung von Avranches wurde 660 in der Familie Herren von Gênets der spätere Heilige Aubert geboren. Seine Familie legte großen Wert auf eine gute Erziehung und so wurde er zum Priester ausgebildet. Durch seinen tiefen Glauben, seine Frömmigkeit und Güte hat man ihn mehr als Engel, denn als Sterblichen gesehen.
Nach dem Tode des Bischofs von Avranches im Jahre 704, versammelte sich der Klerus und das Volk, wie es damals üblich war, in der Kirche, um einen neuen Bischof zu wählen. Da man sich aber nicht einig werden konnte, wurde beschlossen eine Fastenwoche einzulegen und den Heiligen Geist zu bitten, ihnen den zu erkennen zu geben, den er als künftigen Hirten wünschte.
Am siebten Tag trafen sich alle wieder in der Kirche. Während alle ihre Gebete verrichteten, kam es plötzlich zu einem gewaltigen Donnerschlag und eine Stimme, die aus dem Donner zu kommen schien, sagte: Aubert, der Priester, soll euer Bischof sein.
Nach diesen Worten stieg der Heilige Geist in Form eines Feuers herab und schwebte über Auberts Haupt. Nun zögerte keiner der Anwesenden mehr und Aubert wurde zum Bischof ernannt.
Die himmlische Eingebung
Einige Jahre nach seinem Amtsantritt erschien ihm der Erzengel Michael in einem Traum und bat ihn, ihm zu Ehren auf dem Mont Tombe eine Kirche zu bauen. Der Bischof aber hat es lediglich als Traum abgetan und schenkte dem keine weitere Beachtung. Ein paar Wochen später aber erschien ihm der Erzengel Michael erneut. Diesmal in strengerer Haltung und seine Stimme war bestimmter. Erneut bat er ihn am Gipfel des Mont Tombe eine Kirche zu seinen Ehren zu errichten.
Diesmal betete der Bischof inbrünstig zu Gott und bat ihn um Erleuchtung. Schließlich war es Gott der durch Apostel Johannes die Menschen hat wissen lassen, man solle die Geister erst prüfen, um sicher zu gehen, dass sie von Gott gesandt sind. Aubert begann zu fasten und in sich zu gehen. In dieser Zeit widmete er sich verstärkt den Armen. Immer noch ließ ihn dieser Traum nicht los und er hatte Mühe einzuschlafen. Es war sein erster Gedanke beim Aufstehen und der letzte vor dem Schlafen gehen, vorausgesetzt er konnte überhaupt einschlafen. Eines Nachts als die Müdigkeit siegte und er in einen unruhigen Schlaf fiel, war der Traum wieder da. Diesmal aber meldete sich ein verärgerter Erzengel der ihn tadelte, dass er so zurückhaltend in seinem Glauben wäre und ihm fest seinen Finger auf seine Stirn drückte, wo ein sichtbares Zeichen zurück blieb.
In seinem Traum fragte Aubert den Erzengel, wo genau er sein Gebetshaus errichtet haben möchte. Der Erzengel nannte ihm die Stelle am Gipfel des Berges, wo er einen Stier angebunden finden würde. Dieser wurde von Dieben gestohlen und dort versteckt, um ihn bei der erstbesten Gelegenheit verkaufen zu können. Die Größe des Gotteshauses sollte die Fläche bedecken, die der Stier während seiner Gefangenschaft nieder getreten hatte.
Als der Bischof während der Heiligen Messe von seinen Träumen berichtete und den Anwesenden das Mal auf seiner Stirn zeigte, waren alle davon überzeugt, dass der Erzengel Aubert erschienen ist und das Gotteshaus auf dem Berg errichtet werden musste.

Über Siele zieht sich bei Ebbe das Wasser zurück
Bei Ebbe gingen sie hinüber zur Insel und bestiegen den Berg, allen voran Aubert. Als dieser am Gipfel des Berges angekommen ist, fand er, wie der Erzengel ihm verheißen hatte, den Stier an einer langen Leine angebunden, um an ausreichend Futter zu gelangen. Der Stier wurde seinem Besitzer zurück gegeben. Die vom Stier nieder getretene Fläche war gut zu erkennen. Der Boden wurde vom Bischof gesegnet.
Man fing umgehend an den Platz zu ebnen und zu reinigen. Als alles soweit fertig war und gut aussah, blieb da ein riesiger Felsen übrig, der sich trotz aller Anstrengungen und auch mit vereinten Kräften keinen Millimeter von seinem Platz rücken ließ. Wiederum flehte der Bischof Gott und den Erzengel Michael um Hilfe.
In der darauf folgenden Nacht ist Bain, einem Bauer aus der Umgebung, der Erzengel Michael erschienen und hat ihm befohlen aufzustehen und mit allen seinen Kindern hinüber zum Berg zu gehen, um den Stein zu entfernen. Gesagt getan. Der Bauer nahm seine Kinder und tat wie ihm befohlen, aber alle Mühen den Stein zu verrücken waren vergeblich. Gerade als Aubert Gott erneut um Hilfe bitten wollte, kam ihm eine Eingebung. Er fragte den Bauern, ob er denn alle seine Kinder dabei hätte. „Alle bis auf eins, das noch in der Wiege liegt und hier bestimmt nicht behilflich sein konnte,“ erwiderte Bain. Der Bischof bat den Bauern auch sein Kleinstes Kind mit auf den Berg zu bringen.
Als der Bauer mit dem Neugeborenen zurück kam, nahm es der Bischof in seine Hände, hielt es gegen den Stein und während alle anderen mit vereinten Kräfte dagegen drückten, rollte der Stein den Hang hinunter und blieb am Fuße des Berges liegen, wo er heute noch zu sehen ist. Dem Bau des Gotteshauses stand nun nichts mehr im Wege.
Einweihung und Weiterbau
Am 16. Oktober 709 wurde die Abtei auf dem Mont Tombe eingeweiht und dem Heiligen Michael gewidmet. Fortan wurde er nun Mont Saint-Michel, Berg des Heiligen Michael, genannt.
Das Gotteshaus stand nun, bis zur Fertigstellung dessen, was man heute sieht zog sich über mehrere Jahrhunderte hinweg.

Auf engstem Raum spiralförmig nach oben gebaut, beherbergt der Mont Saint-Michel einen ganzen Ort aus mittelalterlichen Gebäuden und engen Gassen.
Die waghalsigen Pläne, auf so einem engen Granitplateau eine Abtei zu errichten, standen wahrlich unter keinem guten Stern. Immer wieder stürzten Wände ein. Erst mit der Weiterentwicklung der Architektur konnten im 12. Jahrhundert Kreuzgrat-gewölbe hinzugefügt und ein Vierungsturm errichtet werden, welche dem Gebäude den notwendigen Halt bis heute geben.
Der Mont Saint-Michel entwickelte sich zunehmend zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit. Auch der politische Einfluss der Mönche wurde immer stärker. Obwohl der Mont mehrfach von englischen und französischen Truppen belagert wurde, erwies sich die Kirchenfestung als uneinnehmbar. Dennoch wurden zahlreiche Gebäude beschädigt beim Beschuss beschädigt. Nachdem der französische König Philippe-Auguste im 13. Jhd. die Normandie erobert hatte, wurde der Merveille (Wunderwerk) genannte, meerwärts gerichtete Nordflügel gotisch umgestaltet. Aus dieser Zeit stammen das Refektorium, der Rittersaal und der Kreuzgang mit seinen 220 zierlichen, fast zerbrechlich wirkenden Säulen.
Während des 100jährigen Krieges wurde der Berg durch eine weitere Befestigungsanlage geschützt, so dass die Bewohner sogar eine 30-jährige Belagerung überstehen konnten. Bis ins 16. Jahrhundert war der Berg eine einzige Baustelle, dessen Klosterkirche auf zahlreichen Vorgänger Kirchen und Krypten thront.
Die Religionskriege hat der Mont unbeschadet überstanden. Revolutionstruppen vertrieben 1791 die letzten Mönche. Der Mont wurde in einen schrecklichen Kerker umgewandelt. Im Volksmund wurde er Bastille de la province genannt.
Im 19. Jahrhundert wurde mit der Restaurierung der Gebäude begonnen.
1869 wurde ein Straßendamm errichtet, der den Mont Saint-Michel mit dem Festland verbinden sollte. Ein Parkplatz wurde angelegt, der zusammen mit dem Damm und weiteren Deichen den natürlichen Fluss des Wassers in der Bucht störte und diese immer mehr versanden ließ. Experten waren sich sicher, wenn nichts unternommen wird, ist der Mont Saint-Michel 2040 komplett von Salzwiesen umgeben und der mystische Glaubensberg verliert seine Magie.
Parkplatz mit Damm 2007 (Foto Wikimedia commons)
… keine Spur von Magie …
… aber 2015 hat sich alles geändert
Neugierig geworden? Dann solltest du uns folgen.
Weitere Fotos vom Mont Saint Michel gibt’s in meinem Fotoblog GLM-Foto & FineArt in der Kategorie – Normandie.
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